Klage gegen Kissinger
Der Mord an einem chilenischen Armeechef wirft Schatten auf die Karriere des früheren US-Aussenministers.
Von Sandra Weiss, Montevideo
Henry Kissinger, der ehemalige US-Aussenminister, gerät wegen seiner Verwicklung in Menschenrechtsverbrechen der lateinamerikanischen Militärdiktaturen zunehmend in die Enge. Am Montag erhob die Familie des 1970 erschossenen chilenischen Armeechefs Rene Schneider Klage gegen Kissinger. Sie wirft ihm Beteiligung an dem Mordkomplott gegen Schneider vor, wie ein Gerichtssprecher in Washington mitteilte.
Die Amtsübernahme Allendes war damals zwar nicht verhindert worden, drei Jahre später aber putschte sich General Augusto Pinochet an die Macht. Schon 1975 war eine Untersuchungskommission des US-Senats zu dem Schluss gekommen, dass die USA den Putsch unterstützt hatten. Vor dem Ausschuss hatte Kissinger beteuert, im Oktober 1970 sei die Hilfe für die rechten Paramilitärs in Chile eingestellt worden. Nach Ansicht des US-Experten Peter Kornbluh war dies jedoch nicht der Fall. Die CIA habe ihre Umsturzpläne weiter vorangetrieben - mit Wissen Henry Kissingers, der damals Sicherheitsberater Nixons war und die Federführung für den "Fall Chile" inne hatte, sagte Kornbluh dem amerikanischen TV-Sender CBS.
© Tages-Anzeiger; 2001-10-17;
Ist Henry Kissinger ein Kriegsverbrecher?
Christopher Hitchens versucht in seinem jüngsten Buch zu belegen, dass der ehemalige US-Aussen- minister Henry Kissinger ein Kriegsverbrecher ist. An Beweisen für die Anklage aber fehlt es weit gehend.
Von Ernst-Otto Czempiel*
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[Hitchens macht] Kissinger direkt für die Ermordung des chilenischen Generals Schneider (1970) verantwortlich. Von diesem Vorwurf hatte ihn eine Congress-Untersuchung freigesprochen. Der Oberste Gerichtshof Chiles hat nun aber am 30. Juli 2001 ein Rechtshilfeersuchen an Washington gerichtet, das den früheren Aussenminister Kissinger zu Aussagen über die Ermordung des amerikanischen Journalisten Charles Hormann im September 1973 durch die Junta veranlassen soll. Am 10. September erhob überdies die Familie Schneider Klage gegen Kissinger vor dem US-Bundesgericht. Das letzte Wort über dessen Rolle in Chile ist also wirklich noch nicht gesprochen.
[...]
* Ernst-Otto Czempiel, 73, ist einer der renommiertesten Politologen Deutschlands. Neben der Konfliktforschung beschäftigte er sich vor allem mit der US-amerikanischen Aussenpolitik der Nachkriegszeit.
Henry Kissinger
wurde 1923 in Fürth geboren und wanderte mit seinen Eltern 1938 in die USA
aus. Als Politologe war er am Aufbau des Internationalen Seminars der Harvard
University beteiligt, dem er von 1961 bis 1971 vorstand. Als Richard Nixon 1968
Präsident wurde, berief dieser Kissinger als Berater für Aussen- und
Sicherheitspolitik ins Kabinett. Als diplomatische Erfolge Kissingers dieser Zeit
gelten die spektakuläre China-Reise Nixons (1972), die Abrüstungsgespräche
mit der UdSSR (1972) und die (allerdings später gescheiterten)
Friedensgespräche im Vietnamkrieg, für die er 1973 gar mit dem
Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Im September 1973 wurde Kissinger
auch offiziell zum Aussenminister ernannt, ein Amt, das er behielt, auch als Nixon
nach dem Watergateskandal im August 1974 Gerald Ford Platz machen musste.
Mit dem Amtsantritt von Jimmy Carter im Januar 1977 schied er aus der
Regierung aus. Seither übte Kissinger seinen immer noch beträchtlichen
Einfluss auf die US-Aussenpolitik von akademischen Posten und aus dem
Hintergrund aus.
(de.)
-> Christopher Hitchens: Die Akte Kissinger, DVA Stuttgart & München 2001, 219 Seiten, 37 Fr.
-> Wilfried Huismann hat den Stoff dieses Buches in einem Dokumentarfilm bearbeitet:
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