© Tages-Anzeiger; 2001-09-12 (!);

Klage gegen Kissinger

Der Mord an einem chilenischen Armeechef wirft Schatten auf die Karriere des früheren US-Aussenministers.

Von Sandra Weiss, Montevideo

Henry Kissinger, der ehemalige US-Aussenminister, gerät wegen seiner Verwicklung in Menschenrechtsverbrechen der lateinamerikanischen Militärdiktaturen zunehmend in die Enge. Am Montag erhob die Familie des 1970 erschossenen chilenischen Armeechefs Rene Schneider Klage gegen Kissinger. Sie wirft ihm Beteiligung an dem Mordkomplott gegen Schneider vor, wie ein Gerichtssprecher in Washington mitteilte.

Gezielte Destabilisierung

Die Kläger, unter ihnen Rene Schneider junior, berufen sich auf Dokumente der US-Regierung und des Geheimdienstes CIA, die im November nach langem Tauziehen von Ex-Präsident Bill Clinton freigegeben worden waren. Demnach waren US-Präsident Richard Nixon und Kissinger damals entschlossen, den Amtsantritt des sozialistischen chilenischen Präsidenten Salvador Allende zu verhindern und betrieben mit gezielten Geheimdienstaktionen die politische Destabilisierung Chiles. Schneider habe den Umsturzplänen im Weg gestanden, weshalb er von einem rechten Kommando erschossen wurde, sagte sein Sohn dem chilenischen Fernsehen. Es sei erwiesen, dass die CIA die Mörder mit Waffen und Geld unterstützt habe.

Die Amtsübernahme Allendes war damals zwar nicht verhindert worden, drei Jahre später aber putschte sich General Augusto Pinochet an die Macht. Schon 1975 war eine Untersuchungskommission des US-Senats zu dem Schluss gekommen, dass die USA den Putsch unterstützt hatten. Vor dem Ausschuss hatte Kissinger beteuert, im Oktober 1970 sei die Hilfe für die rechten Paramilitärs in Chile eingestellt worden. Nach Ansicht des US-Experten Peter Kornbluh war dies jedoch nicht der Fall. Die CIA habe ihre Umsturzpläne weiter vorangetrieben - mit Wissen Henry Kissingers, der damals Sicherheitsberater Nixons war und die Federführung für den "Fall Chile" inne hatte, sagte Kornbluh dem amerikanischen TV-Sender CBS.

Kein Kommentar von Kissinger

Untermauert wurde dies durch die Aussage des damaligen Militärattachés der USA in Chile, Pau Wimert, der gegenüber CBS die Waffenlieferung an die Putschisten einräumte. Kissinger hat bisher zu dem Thema jede Auskunft verweigert, im Mai entkam er mit knapper Not in Paris einer Vorladung. Ein französischer Untersuchungsrichter hatte ihn zum Verschwinden mehrerer französischer Staatsbürger in Argentinien vernehmen wollen. Seit der Festnahme Pinochets 1998 haben Ermittler in Spanien, Argentinien, Frankreich, Chile und Uruguay zahlreiche Beweise für die Verwicklung der USA in die Repression der Militärdiktaturen Lateinamerikas während der 70er- und 80er-Jahre zusammengetragen.

Regimegegner ausgeschaltet

Als gesichert gilt mittlerweile die Existenz der Operation "Condor", eine Absprache der Diktatoren Südamerikas, zur Ausschaltung linksgerichteter Regimegegner. Weltweit agierende Geheimagenten spürten damals im Auftrag der Militärregierungen in Chile, Argentinien, Bolivien, Uruguay, Paraguay und Brasilien linke Aktivisten und Regimegegner auf und brachten sie um. Den ehemaligen Aussenministers Allendes, Orlando Letelier, ermordeten sie gar in den USA. Gemäss den unter dem letzten US-Präsidenten Bill Clinton freigegebenen Dokumenten wusste die CIA seit Juli 1976 von der "Operation Condor". Kissinger wies damals die US-Botschaft in Chile an, wegen Menschenrechtsverletzungen keinen Druck auf die Pinochet-Regierung auszuüben.



© Tages-Anzeiger; 2001-10-17;

Ist Henry Kissinger ein Kriegsverbrecher?

Christopher Hitchens versucht in seinem jüngsten Buch zu belegen, dass der ehemalige US-Aussen- minister Henry Kissinger ein Kriegsverbrecher ist. An Beweisen für die Anklage aber fehlt es weit gehend.

Von Ernst-Otto Czempiel*

[...]

[Hitchens macht] Kissinger direkt für die Ermordung des chilenischen Generals Schneider (1970) verantwortlich. Von diesem Vorwurf hatte ihn eine Congress-Untersuchung freigesprochen. Der Oberste Gerichtshof Chiles hat nun aber am 30. Juli 2001 ein Rechtshilfeersuchen an Washington gerichtet, das den früheren Aussenminister Kissinger zu Aussagen über die Ermordung des amerikanischen Journalisten Charles Hormann im September 1973 durch die Junta veranlassen soll. Am 10. September erhob überdies die Familie Schneider Klage gegen Kissinger vor dem US-Bundesgericht. Das letzte Wort über dessen Rolle in Chile ist also wirklich noch nicht gesprochen.

[...]

* Ernst-Otto Czempiel, 73, ist einer der renommiertesten Politologen Deutschlands. Neben der Konfliktforschung beschäftigte er sich vor allem mit der US-amerikanischen Aussenpolitik der Nachkriegszeit.

Henry Kissinger

wurde 1923 in Fürth geboren und wanderte mit seinen Eltern 1938 in die USA aus. Als Politologe war er am Aufbau des Internationalen Seminars der Harvard University beteiligt, dem er von 1961 bis 1971 vorstand. Als Richard Nixon 1968 Präsident wurde, berief dieser Kissinger als Berater für Aussen- und Sicherheitspolitik ins Kabinett. Als diplomatische Erfolge Kissingers dieser Zeit gelten die spektakuläre China-Reise Nixons (1972), die Abrüstungsgespräche mit der UdSSR (1972) und die (allerdings später gescheiterten) Friedensgespräche im Vietnamkrieg, für die er 1973 gar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Im September 1973 wurde Kissinger auch offiziell zum Aussenminister ernannt, ein Amt, das er behielt, auch als Nixon nach dem Watergateskandal im August 1974 Gerald Ford Platz machen musste. Mit dem Amtsantritt von Jimmy Carter im Januar 1977 schied er aus der Regierung aus. Seither übte Kissinger seinen immer noch beträchtlichen Einfluss auf die US-Aussenpolitik von akademischen Posten und aus dem Hintergrund aus. (de.)



-> Christopher Hitchens: Die Akte Kissinger, DVA Stuttgart & München 2001, 219 Seiten, 37 Fr.

-> Die WSWS über dieses Thema

-> Wilfried Huismann hat den Stoff dieses Buches in einem Dokumentarfilm bearbeitet:
WDR Archiv



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