Schwere Niederlage für den Alt-Diktator
Ein chilenisches Appellationsgericht soll die Immunität des Senators auf Lebenszeit, Augusto Pinochet, aufgehoben haben.
Es wäre die schlimmste politische Niederlage, die der Ex-Diktator in seinem Leben je hinzunehmen hatte. Und sie kommt von ungeahnter Seite - von der chilenischen Justiz, die es noch vor zwei Jahren nie hätte wagen dürfen, etwas gegen Pinochet zu unternehmen.
Am späten Dienstagabend sickerte in der chilenischen Hauptstadt die - bisher unbestätigte - Meldung durch, dass sich eine knappe Mehrheit der 22 mit dem Appellationsverfahren befassten Richter dafür ausgesprochen hätte, Augusto Pinochet die Immunität abzuerkennen, die er als Senator auf Lebenszeit geniesst. Der Präsident des Gerichts, Rubén Ballesteros, verkündete den Medien, dass ein Entscheid gefallen sei, den man aber erst in ein bis zwei Wochen publik machen werde. "Wir warten, bis alle das Protokoll unterschrieben haben", hiess es - und seither rätseln die Auguren, warum dieser bürokratische Akt so lange dauern muss. Offiziöse Quellen, Journalisten, die den Richtern nahe stehen, und einige Politiker sind überzeugt davon, dass der Entscheid knapp zu Ungunsten des Ex-Diktators ausgefallen ist - entsprechenden Spekulationen sind nicht dementiert worden. Die Regierung hüllt sich verständlicherweise in Schweigen.
Auch auf ihn ist in den vergangenen Wochen massiv Druck ausgeübt worden - seitens des Militärs. Die aktiven und vor allem die pensionierten, der Pinochet-Ära besonders verbundenen Offiziere ertragen es nicht, dass ihr Idol öffentlich angeklagt wird. Sie haben den Präsidenten mit Eingaben, Vorschlägen, Drohungen bis zur Weissglut gereizt und scharfe Worte zu hören bekommen. Der Ärger begann mit der Heimführung des Alt-Diktators, die zu einer vom Militär organisierten triumphalen Zeremonie geriet, mit einem strahlenden, übers Flugfeld humpelnden, Küsschen verteilenden Hauptdarsteller, der sich, zusammen mit den grinsenden Militärs, sichtlich freute, allen ein Schnippchen geschlagen zu haben. Die Armee hatte sich über die Empfehlungen der Regierung hinweggesetzt und das Land der Lächerlichkeit ausgesetzt, was ihr Lagos nicht verzeiht. Angesichts des Zorns und der unnachgiebigen Haltung des Präsidenten hielten sich die Militärs in den letzten Tagen eher zurück. Der Heereschef und Nachfolger Pinochets, Ricardo Izurieta, begnügte sich mit der Bemerkung: "Eine Aufhebung der Immunität würde uns nicht zufrieden stellen".
Gegen die Aberkennung der Immunität werden Pinochets Anwälte appellieren. Sie können einmal mehr den schlechten Gesundheitszustand ihres Mandanten ins Feld führen, wobei in Chile nur mentale, nicht aber physische Hinfälligkeit oder Insuffizienz anerkannt wird. Sie werden versuchen, Verjährungs- und Amnestieklauseln in Anspruch zu nehmen, aber auch da gibt es Fallstricke für den Alten. Nach der Verfassung gelten Verbrechen, die während des Pinochet-Regimes begangen wurden, so lange als ungelöst, bis die Leichen der "Verschwundenen" gefunden wurden. Eine makabre Bestimmung, die sich für den Ex-Diktator gerade deshalb fatal auswirkt, weil es seine Militärs sind, die sich bis heute weigern, den Behörden und den Menschenrechtsorganisationen die Massengräber zu zeigen, in denen sie ihre Opfer verscharrt haben. Wie in London werden auch in Santiago Monate vergehen, bis die Frage der Immunitätsaberkennung definitiv geklärt ist.